Analyse statt Vorstellungstermin

Ö1 geht dem Thema „Bewerbung“ nach. Eine kritische Wiedergabe.

Nadja Kwapil gestaltet für Ö1 am 21. Mai 2019 einen Bericht zum Thema Bewerbung und Recruiting. In dem knapp 30 Minuten kommen unterschiedliche Personen, die alle mit dem Thema Bewerbung zu tun haben, zu Wort. Es wird die Seite des AMS ebenso beleuchtet, wie jene der HR-Abteilung von Unternehmen wie T-Mobile (magenta T) respektive Microsoft. Natürlich kommen auch zwei Bewerber*innen zu Wort.

Assessment Center sind immer noch aktuell

Die Rede ist von Assessement-Centern, überfrachteten Stellenausschreibungen, in denen die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau gesucht wird und etwaigen Fehlern, die Bewerber*innen begehen.

Der Grundtenor lautet: Arbeits- und Personalsuche ist über die Jahre komplizierter deutlich komplizierter geworden. Neben den klassischen Kritikpunkten, dass Bewerber*innen oftmals keine Antwort bekämen wird auch deutlich, dass Bewerbungsgespräche heute kaum mehr auf der Beziehungsebene stattfinden, sondern weitgehend standardisiert werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Bewerber*innen anspruchsvoller geworden sind.

Es entsteht der Eindruck als wollten die Unternehmen durch mehr oder weniger standardisierte Verfahren eine gewisse Fairness in den Prozess hinein bekommen. Tatsächlich ist Recruiting teuer und es ist eine wichtige Maxime Risiko falscher Entscheidungen zu minimieren. Daher verwundert es nicht, dass bereits bei den Lehrlingen auf Testverfahren mit oder ohne Gamingcharakter gesetzt wird… Soweit so gut.

Der Beitrag bringt wenig Neues. Einige Punkte sind jedoch deutlich. Vor allem Wanda Ledoldis, die im AMS Akademiker*innen berät, betont, dass Vorstellungsgespräche eine Prüfungssituation sind. Sie räumt mit dem Irrglauben aus der Literatur auf, dass man möglich authentisch in die Vorstellungsgespräche gehen soll. Tatsächlich handelt es sich um eine Stresssituation in der beide Seiten – Bewerber*innen und Recruiter*innen – potemkische Dörfer aufbauen. Beide Parteien präsentieren ihre Schokoladenseiten.

Ehrliches Feedback? Fehlanzeige!

Dass Wanda Ledoldis bedauert, dass es kein ehrliches Feedback gibt, ist nicht eine Unart der Unternehmen, sondern liegt in der aktuellen Gesetzessituation. Kein Unternehmen möchte geklagt werden, nur weil man ein „ehrliches Feedback“ gegeben hat.

Spannend ist auch der Kontext: Die interviewten Bewerber*innen sind gut ausgebildet, wahrscheinlich Akademiker*innen und wirken sehr reflektiert. Sie bewegen sich in ihren Aussagen stark auf der Metaebene. Die Personaler*innen stammen aus Großkonzernen aus der Telekom- und IT-Branche, die ganz andere Mittel haben um Personal zu suchen. Die Coachs (ent)stammen aus dem AMS-Kontext und nehmen den eher kritischen Part ein.

Was fehlt?

Nicht zu Wort kommen z.B. Einzelunternehmer*innen, die anders rekrutieren müssen, da sie kein Budget haben und bei denen ein Fehlgriff im Personalbereich schwerwiegende Folgen haben kann. Ebenso wenig kommen Bewerber*innen zu Wort, die aus Existenzgründen (fast) jeden Job annehmen müssen, der Ihnen angeboten wird.

Ferner werden kaum Lösungen angedeutet, wie man dieses „Spiel“, das zwischen Bewerber*innen und Recruiter*innen herrscht durchbrechen kann. Ganz ohne Employer Branding und Metaebenen.


Link: Analyse statt Vorstellungsgespräch

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