Wien ohne Migrant:innen? „Ein sehr schwieriger Tag“

WIFO-Studie belegt: Wiens Wirtschaft ist auf Migration angewiesen

„Der Tag würde wohl anfangen mit der Frage, wie man in die Arbeit kommt, wenn keine Fahrer sind. Wir würden es merken, dass und etliche Dienstleistungen fehlen, die wir täglich konsumieren (…) es wäre ein Tag, wo sehr viele Dinge, die man gewohnt ist, nicht stattfinden könnten“, sagt Dr. Peter Huber vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO im ORF-Interview in der Sendung „Wien Heute“ am 4. Juli 2025. Seine Antwort bezog sich auf die Frage, wie ein Tag in Wien ohne die Hilfe von Migrant:innen aussehen würde. Seine Antwort macht deutlich: Wiens, aber auch Österreichs Wirtschaft ist längst auf Migration angewiesen.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache

Die aktuelle WIFO-Studie „Erwerbstätige mit Migrationshintergrund in Wien“ liefert beeindruckende Fakten, die populistische und parteipolitische opportune Narrative über Migration widerlegen:

Wien ist ein Schmelztiegel und ein Paradebeispiel:

  • 43,4% der unselbständig Beschäftigten in Wien haben einen Migrationshintergrund
  • 40,5% der Selbständigen stammen aus Migrationsfamilien
  • 42,5% aller in Wien geleisteten Arbeitsstunden werden von Menschen mit Migrationshintergrund erbracht
  • 33,5% der gesamten Lohnsumme entfallen auf diese Beschäftigtengruppe
  • Geschätzte 35% der Wertschöpfung Wiens wird von Migrant:innen erwirtschaftet
  • So stellen Personen mit Migrationshintergrund in Wien den überwiegenden Teil der
  • Hilfsarbeiter:innen haben Migrationshintergrund: 84% der Hilfsarbeiter:innen werden männlich gelesen, bei weiblich gelesene Hilfsarbeiter:innen haben wir sogar 90%
  • Rund 25% der Führungskräfte, der Beschäftigten in akademischen Berufen sowie der Techniker:innen haben einen Migrationshintergrund.

„In allen Bereichen ist ein Fünftel der Personen der Arbeitskräfte in Wien (…) mit Migrationshintergrund. Auch die Führungskräfte sind ein Fünftel, die fehlen würden“, erklärt WIFO-Expert:in Huber.

Diese Zahlen beinhalten jedoch nicht den neuesten Zuzug etwa durch Ukrainer:innen und auch nicht jene Menschen, die in Wien arbeiten, aber jeden Tag zur Arbeit einpendeln oder aus dem Ausland entsandt werden.

Tourismus und Gastronomie: Ohne Migration geht nichts

Besonders dramatisch zeigt sich die Abhängigkeit in bestimmten Branchen. „Wir haben in Wien circa drei Viertel der Erwerbstätigen im Tourismus (…) mit Migrationshintergrund“, so Huber.

Weitere stark betroffene Branchen:

  • Bauwirtschaft (58% unselbständig, 67% selbständig)
  • Handel und Einzelhandel
  • Gesundheits- und Pflegebereich
  • Reinigungsdienstleistungen
  • Logistik und Transport

Der Preis der Diskriminierung: Verschwendung von Talenten

Doch die Realität zeigt auch eine dunkle Seite: Trotz ihrer enormen wirtschaftlichen Bedeutung sehen sich Migrant:innen mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Vor allem werden Migrant:innen diskriminiert und diese Diskriminierung hat natürlich Folgen. Die persönlichen Verletzungen und Narben die bei Diskriminierung bleiben sollen nicht unerwähnt bleiben. Sie sind jedoch nicht immer sichtbar. Sichtbare und messbare Faktoren sind jedoch unumstritten…

Die Diskriminierung hat wirtschaftliche Konsequenzen:

  • Doppelt so hohe Überqualifizierung unter Personen mit Migrationshintergrund. Menschen kommen nicht in jene Jobs für die sie qualifiziert sind
  • Viele arbeiten in Jobs, für die sie eine zu gute Ausbildung haben
  • Höhere Arbeitslosigkeit im Vergleich zu Inländer:innen
  • Niedrigere Einkommen bei gleicher Qualifikation

„Das ist natürlich eine extreme Verschwendung an Wissen und Fähigkeiten, die da stattfindet“, kritisiert Huber. „Die wirtschaftlich gesehen ist die schlechteste, dass die Leute nicht jene Jobs kriegen und nicht in jene Jobs kommen, für die sie qualifiziert sind.“

Frauen mit Migrationshintergrund besonders betroffen

Die WIFO-Studie deckt auf: Intersektionale Diskriminierung ist Realität. Frauen mit Migrationshintergrund sind besonders stark benachteiligt, da sie sowohl aufgrund ihres Geschlechts als auch ihrer Herkunft diskriminiert werden.

Weitere Probleme:

  • Höhere Arbeitsbelastung in nahezu allen untersuchten Dimensionen
  • Geringere Arbeitszufriedenheit
  • Häufigere Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz
  • Schlechtere Bildungschancen für nachfolgende Generationen

Migration ist ein wichtiger Faktor der österreichischen Wirtschaft

„Eine Wirtschaft ohne Menschen mit Migrationshintergrund kann eigentlich nicht funktionieren“, fasst Huber zusammen. „Über ein Drittel aller Dienstleistungen und Güter, die in einem Jahr in Wien produziert werden, gehen auf Personen mit Migrationshintergrund zurück.“

Was Arbeitgeber:innen jetzt tun können?

Die WIFO-Studie zeigt klare Handlungsfelder für Unternehmen auf:

Diskriminierung bekämpfen:

  • Bewusste Diversity-Strategien entwickeln
  • Unbewusste Vorurteile in Einstellungsprozessen erkennen
  • Mentoring-Programme für Migrant:innen etablieren
  • Qualifikationen aus dem Ausland besser anerkennen

„Was die Menschen vor allem wollen, ist einen Lebensunterhalt hier bestreiten und ihr Leben hier gut bestreiten zu können, ohne irgendwelchen Diskriminierungen ausgesetzt zu sein“, erklärt Huber die Grundbedürfnisse.

Fazit: Migration als Chance begreifen

Die WIFO-Studie macht deutlich: Österreich braucht Migration nicht nur demografisch, sondern auch wirtschaftlich. Die Herausforderung liegt nicht in der Anzahl der Migrant:innen, sondern in der optimalen Integration und dem Abbau von Diskriminierung.

„Eine Stadt wie Wien, wahrscheinlich auch viele Städte in Europa oder jede Stadt auf der Welt kann ohne die Hilfe von Menschen oder mit besetzten Arbeitsplätzen von Migrantinnen und Migranten nicht funktionieren“, resümiert Dr. Peter Huber die Situation

Es ist höchste Zeit, diese Realität anzuerkennen und entsprechend zu handeln. Für Arbeitgeber:innen heißt das: Diversität ist nicht nur ein Gebot der Fairness, sondern ein Wettbewerbsvorteil.


Quellen:

  • Interview mit Dr. Peter Huber, Senior Economist, WIFO (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) – Sendung: Wien Heute, ORF 2, 4. Juli 2025, Interviewerin: Ulrike Dobes
  • WIFO-Studie „Erwerbstätige mit Migrationshintergrund in Wien“ WIFO 02/2025
Dr. Peter Huber Wifo, Quelle Wifo

Zur Person: Dr. Peter Huber

Peter Huber ist Ökonom (Senior Economist) und seit 1998 in der Forschungsgruppe „Regionalökonomie und räumliche Analyse“ des WIFO tätig. Er unterrichtete er an der Wirtschaftsuniversität Wien sowie an den Universitäten Innsbruck und Salzburg und studierte, lehrte und forschte in Berlin, Olomouc, Almaty und Urbana-Champaign. V

Er forscht zu den Themen Migration, Arbeitsmarkt und Regionalentwicklung, zu denen er in renommierten Fachzeitschriften wie der European Economic Review, Regional Studies oder dem Journal of Regional Science publizierte. Gegenwärtig forscht er zur Integration von Migranten und Migrantinnen in Österreich.


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