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Es ist vielleicht nur ein Zufall. Am 22. 04. 2025 verkündete die österreichische Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ), dass Österreich die Schwerarbeitsverordnung auch für Pflegekräfte anwenden will. Die Regelung soll am 01. 01. 2026 in Kraft treten. Dies bedeutet: Wer mindestens 45 Versicherungsjahre aufweist und in den letzten 20 Jahren mindestens zehn Jahre Schwerarbeit in der Pflege geleistet hat, soll mit 60 Jahren regulär in Pension gehen dürfen. Das derzeitige reguläre Pensionsantrittsalter für Männer liegt in Österreich bei 65 Jahren, das Antrittsalter der Frauen lag bis 2024 bei 60 Jahren. Seit dem 01. 01. 2024 wird es schrittweise (bis zum Jahr 2033: Anhebung um 6 Monate pro Jahr) an jenes der Männer herangeführt.
Interessante Studie zum Thema Pflege in England
Am selben Dienstag, dem 22. 04. 2025 erschien eine englische Studie, die den Zusammenhang zwischen Schichtarbeit, Krankenständen und Unterbesetzung im Bereich der Pflege untersucht. Die Studie (siehe am Ende des Beitrags) trägt den Titel: „Nurse Staffing Configurations and Nurse Absence Due to Sickness“ und wurde am 22. April 2025 online gestellt (JAMA Network Open, Ausgabe 8(4), April 2025). Hauptautorin der Studie ist Chiara Dall’Ora, PhD. Co-Autor*innen: Paul Meredith, PhD; Christina Saville, PhD; Jeremy Jones, PhD; Peter Griffiths, PhD.
Studiendesign im Überblick
- Typ: Retrospektive longitudinale Fall-Kontroll-Studie
- Datenbasis: Routinemäßig erhobene Krankenhausdaten
- Zeitraum: 1. April 2015 bis 29. Februar 2020
- Untersucht wurden: 4 allgemeine Akutkrankenhäuser in England, 18.674 Pflegekräfte (Registered Nurses und Pflegehilfskräfte)
Untersuchte Faktoren
- Qualifikationsmix der Pflegeteams
- Anteil temporärer Mitarbeiter*innen (Zeitarbeit)
- Personelle Unterbesetzung
- Anteil langer Schichten (≥12 Stunden)
- Vollzeit- vs. Teilzeitbeschäftigung
Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie auf einen Blick:
Die Auswirkungen der krankheitsbedingten Abwesenheit sind sowohl hinsichtlich der Produktivitätsverluste als auch hinsichtlich der erhöhten Kosten für Arbeitgeber und Gesellschaft gravierend. Psychische Erkrankungen, darunter Stress und Angstzustände, sind die Hauptursache für krankheitsbedingte Fehlzeiten bei Pflegekräften in England und machen etwa ein Viertel aller Fehlzeiten aus. In der NHS-Mitarbeiterbefragung gab fast die Hälfte der Krankenschwestern an, dass sie sich in den letzten zwölf Monaten aufgrund von arbeitsbedingtem Stress unwohl gefühlt hätten.
Zugegeben: Krankheiten und Arbeitsunfähigkeit sind ein komplexeres Thema. Sie können nicht nur auf die Anwesenheit von Stress in der Arbeit zurückgeführt werden. Grippewellen, Unfälle in der Freizeit uvm. führen natürlich auch zu Ausfällen. Allerdings kommt die Studie doch zu spannenden Ergebnissen.
- Unterbesetzung bei Pflegefachkräften erhöht Krankheitsausfälle: Wenn zu wenige Pflegefachkräfte (Registered Nurses, RNs) eingeplant wurden, stieg das Risiko für Krankheitsausfälle – besonders bei Vollzeitkräften.
- Qualifikationsmix ist entscheidend: Teams mit einem höheren Anteil an Pflegefachkräften (im Vergleich zu Pflegehilfskräften) verzeichneten weniger Krankheitsausfälle.
- Lange Schichten belasten die Gesundheit: Pflegefachkräfte, die ausschließlich lange Schichten (12 Stunden oder mehr) arbeiteten, hatten ein 26% höheres Risiko für Krankheitsausfälle.
- Teilzeitkräfte reagier(t)en anders: Interessanterweise waren Teilzeitkräfte weniger anfällig für Krankheitsausfälle bei Unterbesetzung als Vollzeitkräfte.
Detaillierte Ergebnisse
Die Datenquellen bestanden aus elektronischen Dienstplansystemen und den gespeicherten Aufzeichnungen aller Pflegekräfte, die für eine bestimmte Schicht auf einer Station eingeteilt waren. Ferner wurden die Aufzeichnungen über Aushilfskräfte (d. h. vom Krankenhaus angestelltes Personal, das Überstunden über seinen Vertrag hinaus macht) und externe Leiharbeitskräfte, die auf der Station arbeiteten, sowie die Patient*innenverwaltungssysteme der Krankenhäuser, für die Studie heran gezogen.
Die Forscher*innen fanden heraus, dass die Inzidenzrate für den Beginn einer Krankheitsepisode bei Pflegehilfskräften bei 2,0% und bei Pflegefachkräften bei 1,4% lag.
Ein besonders aussagekräftiges Ergebnis: Ein Qualifikationsmix mit mehr Pflegefachkräften war mit einer 2%igen Reduktion der Wahrscheinlichkeit von Krankheitsabwesenheit bei „Registered Nurses“ (RN) pro 10%iger Änderung im Anteil der RN-Stunden verbunden (Odds Ratio [OR], 0,98; 95% KI, 0,96-0,99).
Der Wechsel vom unteren Quartil des Qualifikationsmixes (ca. 55% der Pflegestunden wurden von Pflegefachkräften geleistet) zum oberen Quartil (ca. 75% der Pflegestunden wurden von Pflegefachkräften geleistet) war mit einer 4%igen Reduktion der Wahrscheinlichkeit von Krankheitsabwesenheit verbunden.
Und hier nun das wohl wichtigste Ergebnis der Studie: Für Pflegefachkräfte, die in der vorherigen Woche ausschließlich lange Schichten arbeiteten, war das Risiko für Krankheitsausfälle um 26% höher im Vergleich zu denen, die keine langen Schichten arbeiteten (OR, 1,26; 95% KI, 1,19-1,33).
Zahlen in Österreich
Die Quellenlage ist in Österreich unterschiedlich. Es gibt zwar eine etwas ältere Studie, die sich mit der Thematik Krankenstand in Spitälern befasst, allerdings ist mir bis dato keine Studie mit einem ähnlichen Design wie jener des NHS in England in Österreich bekannt.
So wissen wir, dass im Jahr 2023 der durchschnittliche Krankenstand aller unselbständig Beschäftigten im Bundesland Oberösterreich bei 15,8 Tagen lag. Pflegekräfte und Beschäftigte im Gesundheits-, Pflege- und Sozialwesen lagen mit 17,3 Tagen deutlich über dem Durchschnitt. (Quelle). Laut einem Infosheet der Gesundheit Österreich auf der Webseite „Pflegereport“ gaben zwölf Prozent (2022) bzw. 13,5 Prozent (2023) der Pflegepersonen an, persönlich von Burnout betroffen gewesen zu sein. Bei allen anderen befragten Berufsgruppen liegen die Werte gesamt bei 9,2 Prozent (2022) bzw. 9,4 Prozent (2023). (Quelle). Es gibt also deutliche Hinweise, dass das Thema Krankenstand auch in der Pflege in Österreich ein großes Thema ist und zu einem Teufelskreis führen kann.
Praktische Bedeutung
Die NHS-Studie bietet konkrete Anhaltspunkte für Gesundheitseinrichtungen, wie sie durch verbesserte Personalplanung nicht nur die Patient*innensicherheit erhöhen, sondern auch die Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen schützen können.
Um diese Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen, empfehlen die Autoren:
- Mehr in Pflegefachkräfte investieren: Die Beschäftigung von mehr examinierten Pflegekräften reduziert die Krankheitsausfälle im gesamten Team.
- Qualifikationsmix überprüfen: Ein höherer Anteil an Fachkräften (mind. 75% der Pflegestunden) führt zu geringeren Ausfallquoten.
- Schichtplanungsmodelle überdenken: Die Häufigkeit von 12-Stunden-Schichten sollte reduziert werden.
- Teilzeitkräfte strategisch einsetzen: Da diese anders auf Personalunterbesetzung reagieren als Vollzeitkräfte, könnte ein ausgewogener Mix vorteilhaft sein.
Die Autor*innen betonen, dass selbst kleine Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen zu einer verbesserten Produktivität und zu einer Reduzierung der Fluktuation führen können. Das Thema scheint also nicht immer die Remuneration oder das Geld zu sein, sondern die Belastung und die Anzahl der Stunden, die in der Arbeit absolviert werden.
Fazit
Diese evidenzbasierte Studie liefert wertvolle Erkenntnisse für Gesundheitseinrichtungen, die mit Personalengpässen und hohen Krankheitsraten kämpfen.
Ungünstige Arbeitsbedingungen – vor allem zu lange Schichten – für Pflegekräfte sind nicht nur ein Risiko für die Patient*innensicherheit, sie können auch für Pflegekräfte Risiken mit sich bringen und den
Personalmangel möglicherweise noch verschärfen.
Die Investition in eine angemessene Personalbesetzung und -qualifikation zahlt sich durch geringere Krankheitsraten und höhere Effizienz aus – ein wichtiger Aspekt angesichts des weltweiten Pflegekräftemangels.
Vor allem der Aspekt, dass Teilzeitkräfte deutlich weniger Krankenstände verzeichnen, ist ein wichtiges Indiz dafür, über die Verkürzung der Arbeitszeiten nachzudenken (ohne den Lohn zu senken). Das häufig gebrachte Argument, dass kürzere Arbeitszeiten die Produktivität senken würden, darf ein wenig in Frage gestellt werden. Die Studie zeigt, dass lange Dienste Krankenstände erhöhen. Das übrige Personal muss dies ausgleichen und somit steigt die Belastung. Ein Teufelskreis entsteht. Daher ist es wichtig, Einsätze im Pflegebereich sehr gut zu planen und einen gewissen „sweet spot“ zu errechnen, ab dem es kritisch wird. Die Studie gibt jedoch sehr viel Optimismus, dass nicht immer an den großen Rädern gedreht werden muss. Die kleinen Schrauben zu stellen, bringt offenbar auch schon spannende Effekte.