Zur Lage der ukrainischen Vertriebenen am österreichischen Arbeitsmarkt

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Am 24. Februar 2023 jährte sich der verbrecherische Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine zum ersten Mal. Eine unglaubliche Welle der Solidarität ereilte die ukrainischen Vertriebenen in Österreich, die im offiziellen Politsprech nicht als Flüchtlinge bezeichnet werden.

Hürden zum Arbeitsmarkt

Die Europäische Union sorgte für einen mehr oder weniger unkomplizierten Aufenthalt und Zugang zum Arbeitsmarkt für Vertriebene aus der Ukraine. Menschen aus der Ukraine benötigen für die Arbeitsaufnahme eine sogenannte „Blaue Karte“ – das ist ein spezieller Ausweis für Vertriebene – und eine Beschäftigungsbewilligung, die der/die Arbeitgeber*in beim zuständigen AMS beantragen muss.

Das sind also schon einmal zwei Hürden: Die Vertriebenen müssen sich registrieren und eine „Blaue Karte“ beantragen. Dann gehen Sie auf Jobsuche. Sollte ein Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin mit blauer Karte aufnehmen wollen, geht das nicht einfach so. Er oder sie muss beim zuständigen AMS einen Antrag auf Beschäftigungsbewilligung stellen. Noch…

Gesonderte Beschäftigungsbewilligung wird fallen

Dieser Schritt soll laut Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) bald entfallen. In einer Aussendung des Parlaments vom 23. 03. 2023 heißt es:

„Vertriebene Ukrainer:innen haben schon jetzt einen privilegierten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt und werden vom AMS auch aktiv auf offene Stellen vermittelt, sofern sie einen gültigen Ausweis für Vertriebene haben. Nun wird diese Personengruppe gemäß einer Initiative der Koalitionsparteien ( 3158/A) gänzlich vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen. Demnach dürfen Besitzer:innen eines Vertriebenenausweises künftig bewilligungsfrei jede beliebige Beschäftigung in Österreich aufnehmen. Auch die derzeit noch nötige Vorab-Prüfung von Lohn- und Arbeitsbedingungen soll entfallen.“ Der Antrag wurde im Sozialausschuss von ÖVP, Grünen, NEOS angenommen. SPÖ und FPÖ stimmten dagegen. Es fehlt noch der Beschluss durch den Nationalrat.

Der Wegfall der Beschäftigungsbewilligung würde Vertriebene auch interessant für die Zeitarbeit machen – was natürlich ein nicht unwichtiger Faktor bei der Integration von Arbeitskräften darstellen kann. Laut AMS-Vorstand Kopf fände jeder zweiter Vertriebene in Deutschland einen Job über den Weg der Arbeitskräfteüberlassung.

In einigen Bereichen kommt eine weitere Hürde hinzu: Ausgebildete Fachärzt*innen müssen sich beispielsweise nostrifizieren lassen – wenn sie als Ärzt*innen in Österreich arbeiten wollen. Mit anderen Worten: Sie müssen ihr ausländisches Hochschuldiplom anerkennen lassen und entsprechende Deutschkenntnisse vorweisen. Dies ist in der Privatwirtschaft nicht unbedingt notwendig – bei Ärzt*innen, Lehrer*innen etc. jedoch schon.

Ein paar Zahlen zur Arbeitsmarktsituation

Das AMS gibt folgende Auskunft: „Mit 20. Februar 2023 sind in Österreich 93.579 aus der Ukraine vertriebene Menschen registriert. Ende Februar 2023 sind 7.466 Personen aus der Ukraine mit Vertriebenenstatus (gemäß §62 AsylG) beim Arbeitsmarktservice vorgemerkt und 8.262 (Ende Jänner 2023) gingen einer Beschäftigung nach.“ Mit anderen Worten – weniger als 10 Prozent der ukrainischen Vertriebenen gehen einer – wohl gemerkt – geregelten Beschäftigung in Österreich nach. Gerade einmal 7.466 Personen sind beim AMS vorgemerkt. Dies bedeutet, dass im Februar nur knapp 7.500 Menschen aus der Ukraine dem AMS kommunizierten, dass sie „arbeitssuchend“ sind. Dieser Wert blieb über die vergangenen Monate hinweg eher stabil.

Langsamer aber konstanter Anstieg von ukrainischen Beschäftigten

Quelle AMS

Die Grafik belegt, dass immer mehr Vertriebene aus der Ukraine in Österreich einen Job annehmen. Die Zahl steigt kontinuierlich. Die meisten ukrainischen Vertriebenen arbeiten in den Branchen Tourismus und Gastronomie, gefolgt von verschiedenen Hilfsberufen und der Gebäudereinigung. Im Tourismus seien ein Drittel der angemeldeten Kräfte tätig. Dies ist natürlich relativ leicht zu erklären. Ukrainer*innen arbeiten in Bereichen, die leicht zugänglich sind und in denen Deutschkenntnisse nicht die absolute Priorität haben.

Das Thema „Dequalifizierung“ spielt eine wichtige Rolle. 32% der ukrainischen Kund*innen des AMS geben an, über einen tertiären Bildungsabschluss zu verfügen – sprich über eine Ausbildung, die über die Matura hinausgeht. Etliche arbeiten allerdings nicht in den Bereichen, in denen sie ausgebildet wurden.

Weitere Zahlen:

Die folgenden Zahlen verweisen auf alle Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft in Österreich Stand Februar 2023 waren 543 Personen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft in Österreich als „arbeitslos / arbeitssuchend“ gemeldet. 1.851 Menschen befanden sich in Schulungen.

14.157 Menschen aus der Ukraine in Beschäftigung

Stand Februar 2023 waren laut AMIS 14.157 Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft in Beschäftigung. Wenn wir also davon ausgehen, dass im selben Zeitraum etwas über 8000 Menschen mit Vertriebenenstatus arbeiten – müssten knapp 6000 Menschen aus der Ukraine mit einem anderen Aufenthaltsstatus (Rot-weiß-rot-Karte uam.) in Österreich arbeiten. Hinzu kommen – Stand Jänner 2023 – noch 801 Person, die selbständig gemeldet sind.

Welche (weiteren) Ursachen halten ukrainische Vertriebene vom Arbeitsmarkt fern:

Neben den bürokratischen Hürden, dem möglichen Verlust der Grundversorgung bei Arbeitsaufnahme oder der Unmöglichkeit im eigenen Beruf zu arbeiten hat das Institut für Familienforschung der Universität Wien im Mai 2022 folgende Gründe identifiziert.

  • fehlende Kinderbetreuung. Die meisten ukrainischen Vertriebenen sind Frauen mit Kindern. Die Kinderbetreuung stellt neben der Wohnsituation eine besondere Herausforderung dar.
  • mangelnde Deutschkenntnisse.
  • Pläne zur Rückkehr in die Ukraine.

Mit zunehmender Dauer des Krieges ändern sich wahrscheinlich diese Einschätzungen. Laut einem Kurier-Artikel aus dem Juli 2022 scheinen sich die Pläne vieler Vertriebenen zu ändern. Sie stellen sich immer mehr auf einen längeren Verbleib in Österreich ein und wollen arbeiten. Allerdings spielt das Thema Dequalifizierung und Nostrifikation/Anerkennung von Ausbildungen / Erfahrung nach wie vor eine große Rolle und sollte mehr in den Fokus der Diskussion geraten.


Quellen:

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